Globaler Mittelstand: Chancen nutzen, Risiken meiden

Aktualisiert: 13. Januar 2021

4 min.

Haufe Redaktion Handel & Vertrieb Mittelstand

Die Ereignisse rund um den Brexit haben wieder stärker ins Bewusstsein gerückt, wie stark unsere Wirtschaft international vernetzt ist. Welche Risiken die Globalisierung für den Mittelstand bergen können, wie man sie umgeht und die Chancen nutzt, haben wir samt Checkliste für Sie zusammengefasst.

Als immer mehr EU-Staaten nur wenige Tage vor Weihnachten 2020 wegen einer Mutation des Corona-Virus ihre Grenzen zu Großbritannien schlossen, erschien dies wie ein Vorgeschmack auf den zum Jahresende erwarteten „harten Brexit“ ohne Vertrag: Kilometerlange LKW-Schlangen, gekappte Fähr- und Flugverbindungen, ein geschlossener Eurotunnel und, als Konsequenz, ein jäh unterbrochener Handel.

Es kam anders. Pünktlich zu Weihnachten einigten sich beide Seiten auf ein Dokument, das den freien Handel zwischen Großbritannien und der EU – zumindest in den meisten Bereichen – weiterhin ermöglicht, wenngleich deutliche Reibungsverluste dennoch abzusehen sind. Dieser vorläufige Erfolg kann und darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass Handel unter globalisierten Bedingungen nicht nur immense Chancen bietet, sondern auch immer mit Unwägbarkeiten und Risiken behaftet ist.

Globale Verflechtungen und das Rückgrat der deutschen Wirtschaft

Wie wir heute wissen, können auch Pandemien dazu führen, dass Grenzen und industrielle Fertigungsanlagen bei Shutdowns geschlossen werden. Dann sind Engpässen bei Importgütern, abreißende Liefer- und Wertschöpfungsketten, Stillstände und wegbrechende Märkte die Folge.

Der deutsche Mittelstand bzw. kleine und mittlere Unternehmen (KMU) spielen in solchen internationalen Szenarien eine zentrale Rolle und sind entsprechend stark betroffen. Denn jeder zweite Mittelständler ist heute international ausgerichtet und 97,1% der deutschen Exporteure sind KMU. Ihr Anteil an allen Unternehmen in Deutschland beträgt 99,5%, sie beschäftigen 58% der sozialversicherungspflichtigen Arbeitskräfte und erwirtschaften 58% der Nettowertschöpfung. Verwerfungen im internationalen Handel wirken sich also nicht nur unmittelbar auf den deutschen Mittelstand aus, sondern auch auf die Wirtschaft insgesamt.

Neue Entwicklungen, internationale Wettbewerber und disruptive Technologien

Ein weiterer Faktor, den es aus der Sicht des deutschen Mittelstandes zu bedenken gilt, sind internationale Akteure, die in deutsche Märkte eindringen und dort Marktanteile übernehmen. Möglich wird dies durch die Liberalisierung des Welthandels, durch technologische Innovationen wie die digitale Revolution und das Internet, die starke Zunahme des internationalen Luft- und Schiffsverkehrs und die Containerisierung des Stückguttransports.

Massen an Waren erreichen täglich aus China und anderen Weltregionen europäische Häfen und Flughäfen, die Fertigung wird in vielen Bereichen in Billiglohnländer verlegt, fertige Konsumgüter zu Niedrigpreisen reimportiert und so Preise gedrückt. Gleichzeitig mischen neue, digital aufgestellte Unternehmen aus Übersee wie Amazon, Uber, Airbnb und andere ganze Branchen hierzulande mit disruptiven Geschäftsmodellen auf.

Internationalisierungsstrategie:
Das müssen Sie beachten

All diese Risiken dürfen jedoch nicht den Blick auf die Chancen der Internationalisierung für KMU verstellen, denn durch sie lassen sich Umsätze und Gewinne deutlich steigern: Unternehmen können sich völlig neue Absatzmärkte und Käufergruppen erschließen, bei der Beschaffung, den Lohn- und Immobilienkosten hohe Einsparungen realisieren, ihren Bekanntheitsgrad weiter steigern und konjunkturelle Schwankungen in ihren angestammten Binnenmärkten durch Diversifizierung ausgleichen.  Damit dies jedoch gelingt, gilt es einige Punkte zu beachten: 

Ohne klare Strategie geht nichts 

Vor den ersten Schritten in Richtung Ausland müssen die Ziele klar definiert, konkrete Vorgehensweisen festgelegt und an alle Beteiligten kommuniziert werden. Dazu gehören auch organisatorische Prozesse, benötigte finanzielle und personelle Ressourcen, mögliche Probleme und entsprechende Lösungen sowie eindeutige Grenzwerte für ein Ausstiegsszenario mit Risikominimierung bei Misserfolg. Insbesondere die Finanzierung der internationalen Expansion will gut durchdacht, langfristig angelegt und mit einem Puffer versehen sein, denn in unbekannten Ländern kann es immer zu „Überraschungen“ kommen. Ganz wichtig: Stellen Sie sich darauf ein, dass Renditen meist erst nach einigen Jahren zu erwarten sind. 

Rechtliche Voraussetzungen klären 

Wer empfindliche Strafen und Verzögerungen durch Rechtsstreitigkeiten vermeiden sowie seinen guten geschäftlichen Ruf nicht gefährden will, der muss das nationale Recht im Zielland und das internationale Recht kennen und entsprechend handeln. Dazu gehören Versicherungsfragen ebenso wie Verbraucherschutz, Wettbewerbsregeln, Preisbindung, betrieblicher Arbeitsschutz, Urheberschutz oder Mitbestimmungsrechte.  

Kulturelle Unterschiede kennen und Marketing anpassen 

Geschäftsmodelle müssen an lokale Gegebenheiten angepasst werden. Wichtig sind hier etwa das Konsumverhalten, Preisstrukturen, spezifische Präferenzen bei Produkten oder bevorzugte Vermarktungskanäle. Gleiches gilt für Positionierung und Branding bei Marketing und Kommunikation. Wenn etwa Marketingaussagen, Slogans und Symbole gar nicht verstanden oder missverstanden werden, führt dies schnell zu Irritationen und Imageverlusten. Hier können lokale Partner oder entsprechend spezialisierte Agenturen wertvolle Hilfestellung leisten. 

Zielmarkt analysieren, Beschaffung klären und lokale Partner suchen 

Nehmen Sie sich die nötige Zeit für eine detaillierte Markt-, Lieferanten-, Kunden-, Stakeholder- und Wettbewerbsanalyse. Sehen Sie sich dabei auch bestehende und prognostizierte Marktstrukturen, Absatzerwartungen sowie politische, steuerliche, technologische und gesamtwirtschaftliche Einflussfaktoren an. Wenn Sie Produzent sind, klären Sie, wie und wo Sie Ausgangsprodukte einkaufen und welche logistischen Strukturen bzw. Lieferketten Ihnen zur Verfügung stehen. Bei all dem kann es äußerst hilfreich sein, früh mit strategisch gut aufgestellten lokalen Partnern zu kooperieren. Der Kauf eines etablierten Unternehmens mit Kundenstamm oder die Rekrutierung von lokalen Mitarbeitern mit umfangreichen Landeskenntnissen bieten hier unschätzbare Vorteile.